Tagebuch eines Technikers zur “F-104 Farewell Tour ‘86”:
Mit der 61+15 nach Amerika – “Der Transatlantikflug aus Technikersicht”
Die begleitende BR1150 mit dem Kennzeichen 61+15 nahm benötigtes Personal und Material auf. (Foto: Peter Terlouw)
Am Montag, dem 11.08.1986 trafen wir uns in Jagel und erwarteten die Crew VI und die „Atlantik“, die aus Nordholz kam. Nach der Landung der „Atlantik“ und Begrüßung der Crew VI begannen wir mit dem Verladen der Ersatzteile und Sonderwerkzeuge. Letztendlich passte doch alles in den Stauraum. Die Koffer und das Handgepäck wurden oben in der Druckkabine verstaut.
An Bord bekamen wir gleich eine Einweisung über den Gebrauch von Schwimmweste und Fallschirm. Ebenfalls befand sich an Bord eine kleine Küche und Toilette. Mittagessen war angesagt: Schweinebraten, Kartoffeln, Burgundersoße, Birnen. Die gesamte Verpflegung (Eier, Brot, Margarine, Wurst und Käse) wurde mitgebracht. Die Mittagsverpflegung für den 11. August war vorher in Nordholz gekocht und in Dosen eingemacht worden, sie wurde an Bord nur aufgewärmt.
Uns voraus starteten die vier F-104G in Richtung Lossiemouth in Schottland, um zu tanken und um uns anschließend in Keflavik auf Island wiederzutreffen. Um 10:45 Uhr verließen wir deutschen Boden in Richtung Keflavik. Die Route führte uns über die Nordsee, Nordengland, Schottland, Island. Gegen 13:35 Uhr erreichte uns aber ein Funkspruch aus Lossiemouth: F-104 in Lossie G/A (ground abort). Abgastemperatur und Schubdüse zeigten falsche Werte. Das fing ja gut an!
Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns bereits 180 Meilen hinter Lossie. Wir drehten ab und flogen nach Schottland zurück. Im Flugzeug besprachen wir die Störung und überlegten uns die Fehlerbeseitigung. Schnell waren wir uns einig. Gegen 14:30 Uhr landeten wir in Lossiemouth. Werkzeug und Ersatzteile wurden zusammengetragen und schon brachte uns ein Auto zu unseren Maschinen. Noch mal wurde die Störung vom Piloten angesprochen. Ich wechselte das entsprechende Bauteil am Triebwerk. Merkwürdig, dass die Störbehebung im Ausland immer schneller geht als zu Hause.
Die Gesichter wurden wieder freundlicher. Werkzeugkontrolle, Rückfahrt zur „Atlantik“, verstauen und schon gehen wir wieder in die Luft. Daumen drücken: Über Funk hörten wir, dass alle vier „Vikings“ in Lossiemouth gestartet sind. Wir waren wieder komplett, und Freude kam auf.
Gegen 19:05 Uhr landeten wir in Keflavik. Auch unsere Starfighter waren heil angekommen. Nach zwei Anläufen hatten wir mit dem Taxi das Hotel „Blaue Lagune“ erreicht. Es sah aus wie ein großer Baucontainer mit Fenstern. Nach dem Abendessen trafen wir uns alle wieder, um in der blauen Lagune zu baden. Außentemperatur 11 Grad, Wassertemperatur 35-40 Grad und wirklich blau. Die blaue Lagune wird von einem Geysir aufgeheizt. Ebenso verwendet man die warmen Quellen für die Energieversorgung auf Island. Plötzlich setzte ein Hagelschauer ein, doch er traf nur unsere Köpfe. Wir aalten uns im warmen Wasser. Im Hotel gönnten wir uns noch einen Umtrunk und tauschten dabei Erfahrungen mit der Crew VI aus.
- Die Dokumentation der Reise auf der Lfz-Zelle („Sprüheinsatz“)
2. Tag, Dienstag 12.08.1986
Nach dem Frühstück im Hotel fuhren wir zur Basis. Es folgte der erste Sprüheinsatz an den Maschinen, denn in Eggebek hatte man Schablonen für jeden Platz angefertigt, den wir auf unserer Tour anfliegen sollten. Auch der „Atlantik“ wurden die entsprechenden Landeplatznamen an der linken Frontseite aufgesprüht. Die Nordholzer staunten.
„Take off“ in Keflavik 8:35 Uhr. Nun folgte eine Schlechtwetterfront, die bis Kanada reichte. Über Funk hörten wir, dass alle 4 Starfighter klar gestartet waren zum geplanten Zwischenstopp in Sondrestrom auf Grönland.
Unter uns sah man nur Wasser – eintönig. HB Golletz „servierte“ zu Mittag Gulasch, grüne Bohnen und Kartoffeln. Land kam in Sicht. Wir überflogen Grönland. Wir hörten die Kommentare der Starfighterpiloten, als sie die Ostküste erreichten. Wir erkannten viele Bäume, vereinzelt Seen, von Ansiedlungen keine Spur. Um 12:45 Uhr landeten wir in Goose Bay. Inzwischen hatten wir 5 Stunden Zeitverschiebung aufgeholt. Gleichzeitig landeten auch unsere „Starfighter“. Die Piloten der F-104’s beschlossen, am Nachmittag in Richtung Plattsburgh weiterzufliegen. So sollten die Besatzungen mehr Zeit haben, sich am 13.08. die Niagarafälle, Washington und New York anzusehen, natürlich aus der Luft, „sight seeing“ mit der F-104!
In Goose Bay trafen wir Kameraden der Luftwaffe aus Hopsten (Phantom) und aus Nörvenich (Tornado). Schnell waren unsere Maschinen umlagert. Viele alte Hasen waren darunter, die noch an der F-104 gearbeitet hatten. Wehmut kam auf, Fotos wurden gemacht, und Stimmen wurden laut: endlich mal ein schönes Flugzeug! Erfahrungen und Erinnerungen wurden ausgetauscht. Als man von unserem Flugplan nach Moffett hörte, wollten einige einsteigen.
Nachdem wir unsere Starfighter klargemacht hatten, fuhren wir zur Unterkunft auf der Basis. Wieder traf man sich auf eine Stunde beim „Beercall“. Auch ein Besuch im amerikanischen Club stand abends auf dem Programm. An der Bar wurden Erfahrungen mit den Technikern aus Nörvenich in Sachen „Tornado“ ausgetauscht.
PA200 Tornado vom JaboG 31 „Boelcke“ in Nörvenich vor der Luftwaffenhalle in Goose-Bay / Labrador
Dann kehrten wir in die Unterkunft zurück. Ruhe im Schiff!
3. Tag, Mittwoch 13.8.1986
Beim Frühstück trafen wir einen ehemaligen Elektriker aus Eggebek. Wir kehrten zur 61+15 zurück. Von der Basis aus konnte man schon die Einöde hinter der Flugplatzumzäunung erkennen. Bäume soweit das Auge reicht. Der Spieß vom ständigen Kommando in Goose Bay erzählte einiges. Im Winter bis 60 Grad minus und viel Schnee. Ski- und Rodelbedingungen seien gut. Die nächste Stadt liegt 38 km entfernt, erreichbar über eine „Dirty-Road“. Diese sei aber zurzeit überflutet. So sei das in Goose Bay.
Um 9:20 Uhr verließen wir Kanada. Vom Flieger aus hatte man einen weiträumigen Blick über die Weite dieses Landes; ideal für Aussteiger und Einsiedler. Über den St. Lorenz-Strom und Quebec flogen wir in Richtung Andrews bei Washington. Unsere Starfighter machten nach dem Start in Plattsburgh Zwischenstation in Mc Guire. Über Funk erfuhren wir, dass alle klar gelandet und ebenfalls auf dem Weg nach Andrews waren. Zu Mittag gab es diesmal Bratkartoffeln mit Spiegelei und Gurke.
New York in Sicht. Das Häusermeer verdichtet sich. In 2800 m Höhe überflogen wir diese Stadt. Dicht unter uns Kennedy-Airport, ein riesiger Flugplatz. Weiter ging es über Baltimore nach Andrews AFB. Um 12:15 Uhr landeten wir. Wir waren vor unseren 4 Maschinen da.
Auf der anderen Seite der Air-Base sahen wir die US Air Force No. 1, die Boeing 747 des amerikanischen Präsidenten. Andrews ist eine Art Drehscheibe der US-Fliegerkräfte.
Nach einem Formationsüberflug landeten unsere Starfighter 1 1/2 Stunden nach uns. Schnell wurden die Maschinen betankt und noch einmal durchgesehen. Unsere Piloten erzählten von ihrer Sight-seeing Tour über New York und Washington. Alle Maschinen waren klar. Mit dem Bus fuhren wir zur Unterkunft, diesmal Hotel Holiday Inn. Hier konnte man es aushalten.
Wir wurden auf herzlich bayrische Art von Fregattenkapitän Altmann empfangen und auch das Bier war schon gezapft. Es war das erste Mal, dass alle Teilnehmer dieses großartigen Überlandfluges zusammen waren und die Chance hatten, sich näherzukommen.
4. Tag, Donnerstag 14.08.1986
Nach dem Frühstück im Hotel oder bei Mc Donalds nebenan, fuhren wir zum Flugplatz. Kurz wurden die Maschinen überprüft und Fotos geschossen: Im Vordergrund 4 F-104G und im Hintergrund das Mutterschiff, die „Atlantik“. Es war Zeit zum Aufbruch und um 9:15 Uhr verließen wir Andrews in Richtung Sheppard. Nochmals hatten wir einen herrlichen Blick auf des Häusermeer von Washington. Unter uns zogen Pentagon, White house und Capitol vorbei; durchzogen von den fünfspurigen Freeways, die wie an einer Schnur gezogen das Land durchkreuzen. Auch unsere „Vikings“ machten planmäßig „Take-off“ in Richtung Scott. Zu Mittag gab es Würstchen mit belegten Broten.
Dann kam St. Louis in Sicht. Kurze Zeit später überflogen wir Lambert Airport, von dem einst Lindbergh mit seiner „Spirit of St. Louis“ zur Atlantiküberquerung gestartet war. Anschließend wieder das gewohnte Bild: Ebenen, durchzogen von den gradlinigen Highways. Wir näherten uns Sheppard. Im Flugzeug machten wir uns daran, die Schablone „Viking F-104 FAREWELL TOUR ’86“ zu fertigen. Wie gut, dass wir vorgesorgt hatten; immer wieder der Blick aus dem Fenster über die Weite Amerikas. Nach gut 5 Stunden Flugzeit landeten wir in Sheppard. Uns wurde warm ums Herz, denn es waren 33 Grad im Schatten. Unsere 4 Maschinen waren noch nicht da und so hatten wir etwas Zeit, uns in der Kantine zu erfrischen. Es blieb nicht aus, dass auch Abzeichen ausgetauscht wurden.
Dann kam die Nachricht, KptLt Schmidt sei mit der 21+19 in Scott liegengeblieben; Probleme mit der Hydraulik. Alles wartete gespannt auf die anderen drei Vikings. Endlich tauchten sie am Horizont als schwarzer Punkt auf. Schnell wurden sie größer und überflogen den Platz in enger Formation. Man sah es an den Gesichtern, dass so mancher gern noch einmal in den Starfighter einsteigen würde. Neben der „Atlantik“ wurden die Maschinen abgestellt und schnell wurden unsere Piloten von Fliegerkameraden, vom Fernsehen, der Presse und von denen umlagert, die den Starfighter nur aus Büchern oder vom Erzählen her kennen. Viele Fragen wurden beantwortet, überall angefasst und begutachtet. Doch auch die „BR1150 Breguette Atlantic“ wurde besichtigt. Eine Frau fragte den Kommandanten, wieviel PS sein Flugzeug habe. Dem einen oder anderen wurde auch eine Sitzprobe in den Cockpits gestattet. Ganz schön was los in Sheppard: Nebenbei erfuhren wir, dass es hier tagsüber 600 Starts gäbe, eine unvorstellbare Zahl für uns. Dementsprechend sah die „Line“ aus, auf einer Seite die T-37, 6 Reihen á 12 Maschinen und das gleiche auf der anderen Seite: 6 Reihen á 12 Maschinen T-38. Ebenso erfuhren wir, dass es heute „kühl“ sei in Sheppard, man sei andere Temperaturen gewohnt.
Ein Bus brachte uns zum Hotel. Am Abend trafen wir uns im Offiziersclub mit den ehemaligen MFG 2 Piloten zum „Beercall“. Auch ein kleiner Imbiss wurde gereicht. Der Dienstälteste Deutsche Offizier in Sheppard hieß uns herzlich willkommen und wünschte uns gutes Gelingen für die weitere „Viking Farewell Tour“. Wir Techniker beratschlagten beim Bier, was wir mit der 4. Maschine in Scott machen sollten. Nach dem Beercall fuhren wir zurück ins Hotel und drehten noch eine Runde im Swimming Pool. Gegen 22:00 Uhr erschien ein Bericht über die German Navy im TV. Am Pool fühlten wir uns wohl, viele wollten hier bleiben und eine Außenstelle MFG 2 einrichten.
5. Tag, Freitag 15.08.1986
Am Freitagmorgen griff sich jeder noch eine Tageszeitung mit dem Artikel über die F-104 Farewell Tour. An der Maschine überraschte uns ein Regenschauer. Ein letzter Blick auf Sheppard und um 8:55 Uhr starteten wir in Richtung Scott. Die Zusammenarbeit mit der Besatzung der Crew VI war bestens. An Bord besprachen wir die Störbehebung für die 21+19. Der Spruch des Hydraulikers: keine Panik, keine Hektik. Um 11:10 Uhr landeten wir in Scott. An der Maschine trafen wir KptLt Schmidt. Wir besprachen in kurzen Zügen nochmals die Störung. Nach 1 1/2 Stunden waren wir fertig, die Maschine war wieder klar. Plötzlich setzte Regen ein. Als wir wieder in unsere „Atlantik“ stiegen, waren wir alle ganz schön nass. KptLt Schmidt flog über Peterson Field bei Colorado Springs nach Moffett. Über Funk hörten wir ihn in der Luft. Langsam trockneten unsere Anzüge wieder. Als die Wolkendecke aufriss, überflogen wir Denver. Dann runde Felder, die wie Schallplatten aussahen. Wir überquerten die Rocky Mountains. In diesem gewaltigen Bergmassiv gibt es Höhen bis zu 4300 Meter. Unter uns schlängelte sich der Colorado River durch die Steinwüste und gewaltige steilabfallende Felswände prägten diese Landschaft. Wir überflogen den Staat Nevada. Berge und Wüste soweit das Auge reicht. Als wir uns der Staatsgrenze von Kalifornien näherten, sahen wir die ausgetrockneten Salzseen. Beim Überfliegen der Staatsgrenze hörten wir über Funk, Pilot an Co: „Wir überfliegen die Staatsgrenze von Kalifornien.“ Co: „Ist doch klar.“ „Wieso?“, da unten steht ein Schild: „Welcome in California.“
Flughöhe 8000 ft. Dann streiften wir den südlichen Teil des Yosemite Nationalparks. Um 18:10 Uhr Ortszeit landeten wir in Moffett. Pilot an Crew: „Sieht jemand unsere Lötlampen?“ „Ja, sind aber nur drei.“ Unruhe machte sich breit. Als HB Golletz von der Versorgungsfahrt zurückkam, beruhigte er uns, eine Maschine stehe nur etwas abseits für „Static Display“. Wir waren froh! Alle vier Maschinen waren in Moffett angekommen. Wer hätte das gedacht, wir hatten den westlichsten Ort unserer Tour erreicht. Einlaufbier und unsere Piloten empfingen uns an der „Atlantik“. Anschließend fuhren wir mit dem Bus ins Hotel außerhalb der Base. Abends trafen wir uns in „1. Geige“ beim großen Empfang für alle teilnehmenden Teams. Wir wechselten Worte mit dem deutschen Botschafter, Herrn Herzog, und mit Herren von der NASA. Für unsere Sicherheit war gesorgt, gleich im Hintergrund die Bodyguards mit wachem Auge. Gegen 23:00 Uhr fuhren wir zum Hotel zurück und nahmen einen Schlummertrunk an der Hotelbar. Die Bedienung kam aus Düsseldorf. Da gab es noch einiges zu erzählen.
6. Tag, Samstag 16.08.1986
Sprüheinsatz mit der roten Glden Gate Bridge
Morgens rüsteten wir drei Maschinen für die Flugshow ab. Sprüheinsatz: Viking Farewell Tour und die rote Golden Gate Bridge. Die Piloten waren begeistert. Als wir mit dem Abrüsten der Tanks fertig waren, füllten sich schon die Tribünen. Wir unternahmen noch einen Rundgang und trafen zwei amerikanische Polizisten. Wir kamen ins Gespräch und tauschten Abzeichen aus.
Der Air Day wurde mit Musikkapelle und Nationalhymne eröffnet. Planmäßig um 14:05 Uhr liefen unsere Maschinen. Dann waren die „Vikings“ in der Luft. Nach der Landung mussten wir zur NASA Area zum Tanken. Wir waren auf einen Erdtank angewiesen. Der Tankfüllschlauch war nicht viel größer als ein Gartenschlauch und so zog sich alles in die Länge. Immer wieder wurden wir von Zuschauern angesprochen. Um 16:00 Uhr war die Air Show zu Ende. Vor dem Hotel fand abends eine Western Party statt. Bei Chicken, Spare Rips, ein, Bier und Western Musik ging es hoch her. Auch der Cowboy-Hut und der Revolver durften nicht fehlen. Die Party zog sich bis spät in den Abend hin.
7. Tag, Sonntag 17.08.1986
Mit zwei Fahrzeugen unternahmen wir eine Fahrt über den Freeway 101 nach San Francisco. Beim Tankstopp blieb der Schlüssel im Fahrzeug und natürlich alle Türen zu. Doch mit Geschick, Können und Draht öffnete HBtsm van Hülst das Fahrzeug und wir konnten die Fahrt fortsetzen. Endlich waren wir da. Wir überfuhren die Golden Gate Bridge zum Aussichtspunkt. Von hier hatte man einen herrlichen Blick auf die Skyline von San Francisco, Alcatraz, der ehemaligen Zuchthausinsel und die Golden Gate Bridge. Man kann die Brücke auch zu Fuß erwandern. Fährt man in Richtung Süden, also stadteinwärts, zahlt man 1 Dollar Gebühr. Dann ging es durch die Straßen von San Francisco bergauf, bergab. Steigungen bis zu 30 Prozent sind keine Seltenheit. Man hatte das Gefühl, als falle man jeden Moment mit dem Fahrzeug hintenüber. Wir steuerten auf die Lombardstreet zu. Sie ist die kurvenreichste Straße der Welt. Auf einer Strecke von knapp 200 m muss man acht scharfe Kurven nehmen und das sollte man als Autofahrer nur im Schritt-Tempo wagen, wenn man nicht im Vorderfenster eines ahnungslosen Hausbesitzers landen will. Am Fisherman’s Wharf, dem Hafenviertel von San Francisco, spielt sich alles ab. Hier wird die Straße zur Bühne, Fischgeruch steigt in die Nase, hier trifft sich Groß und Klein.
Nach knapp 4 Stunden Aufenthalt in San Francisco mussten wir diese Stadt verlassen, die noch so viel zu bieten hat. Die berühmten Cable-Cars konnten wir nur sehen, leider war die Zeit zu knapp, um damit zu fahren.
In aller Schnelle fuhren wir zum Hotel, zogen uns um, und wieder begann unsere Arbeit. Dichter Verkehr. Wir fragten einen amerikanischen Polizisten, ob er uns zum Platz begleiten könne. No Problem: Dumpfer Sound tönte aus dem Auspuff seiner Harley-Davidson, und schon ging es mit Eskorte zum Flugplatz. Wir bedankten uns. Ein Wink mit dem Finger zum Helm – alles klar. Rechtzeitig waren wir an den Maschinen. Heute zeigten die „Vikings“ erst richtig, was Sache ist. Nach der Landung rollten beide Maschinen vor den dichtbesetzten Tribünen vorbei. Die Zuschauer waren total begeistert; winken und immer wieder Fotos. Nach dem Ende der Air-Show rüsteten wir unsere Maschinen wieder auf und bauten die Tanks an. Als wir endlich fertig waren, wurde es bereits dunkel und wir waren die Letzten auf dem Platz, das Los der Techniker. Aber ein Sonnenuntergang in aller Ruhe ist ja auch etwas. Im Hotel hieß es Koffer packen für den Heimflug.
8. Tag, Montag 18.08.1986
Beim Frühstück im Hotel machten uns die Wetternachrichten über den Hurrikane „Charlie“ in Ostamerika Sorgen. War der Weiterflug gefährdet? Um 10:00 Uhr Ortszeit verließen wir Moffett: Kalifornien ade. Es ging Richtung Columbus. Ein letzter Blick auf Moffett, wir drehten ab, durchflogen schlechtes Wetter. Pilot FK Lang an Co: „Was sagt dein Rheuma, wie lange hält das Wetter an?“ Antwort: „Immer wenn ich kalte Füße habe, gibt es Schnee.“
Als wir Death Valley überflogen, sprachen wir über Funk mit Eggebek. Die Gespräche gingen über die Leitfunkstelle der Luftwaffe in Münster nach Eggebek und Jagel: Die „Hotline“ in die Heimat. Man wünschte uns für den Rückflug alles Gute und Grüße an alle.
Zu Mittag gab es Gulasch, Kartoffeln und Birne. Bei schlechter Sicht näherten wir uns dem Grand Canyon. Wir gingen tiefer. Endlich riss die Bewölkung auf und unter uns breitete sich der Canyon aus. Das rote Felsgestein fällt fast senkrecht in die Tiefe. Gewaltige Schluchten. Staunen machte sich breit und alle klebten an den Fenstern: „Fliegt überhaupt noch jemand?“ Über Funk hörten wir eine Cessna, der Pilot hatte die Orientierung verloren. Funk hin und her. Wir fuhren den Radar-Dom aus und auf dem Schirm waren 35 Symbole zu erkennen. Nicht ganz einfach, aber es wurde versucht zu helfen. Die Zeit verging, endlich hatte die Cessna Funkkontakt mit Albuquerque. Noch einmal gutgegangen.
Die Abhänge im Canyon fallen streckenweise bis zu 2000 m in die Tiefe. Seine Breite erstreckt sich auf etwa 15 Meilen und seine Länge beträgt ca. 180 Meilen. Wir überflogen den Rio Grande und Albuquerque. Dann kam Dallas, die Heimat von J.R. Ewing. Zwischen dem Häusermeer der riesige Flugplatz. Zwischendurch gab es Würstchen.
Als wir in Columbus landeten, hatte wieder einer der „Atlantik“-Crew beim Fahrwerkroulette gewonnen. Pro Nase 1 Dollar und vom Gewinn wurde das Einlaufbier bezahlt. In Columbus 31 Grad und hohe Luftfeuchtigkeit, wir waren ganz schön am Schwitzen. In der Dunkelheit landeten unsere vier Maschinen eine Stunde später. Störbehebung, Betanken, Papiere ausfüllen, etc.. Die US Air Force unterstützte uns prima. Die Unterkünfte waren hervorragend: Bad, TV, Küche, Wohnraum und Telefon.
9. Tag, Dienstag 19.08.1986
Die Reisedokumentation am Leitwerk der F-104G
Wir waren wieder in der Luft. An Bord gab es Frühstück. Wir flogen wieder nach Goose Bay. Unsere Fighter machten Station in Griffis. Über Funk wurden alle Maschinen o.k. gemeldet. Die Sicht war gut und an Backbord sahen wir den Ontario See. Der Co saß in seinem Sitz im Cockpit und las ein Buch. Plötzlich die Mahnung: „Wenn ich nicht gleich was zu essen bekomme, höre ich auf zu arbeiten.“ (Gottlob gibt es Autopiloten.)
Wir waren über Kanada: das gewohnte Bild wie auf dem Hinflug: Wälder und Seen. Rechts zog Montreal an uns vorbei. Als wir in Goose Bay landeten, war schon Abend. Da vereinzelte von uns nichts mehr zum Essen bekamen, mussten wir uns an diesem Abend mit nahrhaftem Gerstensaft begnügen.
10. Tag, Mittwoch 20.08.1986
Frühstück gab es wieder an Bord und diesmal gesellten sich auch unsere Starfighterpiloten dazu und lobten die gute Küche. Der Zeitunterschied machte sich bei allen bemerkbar, wir waren recht müde. Seit San Francisco haben wir 5 Stunden aufgeholt. Bei kühlen Temperaturen verabschiedeten wir uns in Goose Bay.
Über Funk holten wir uns die Genehmigung für einen Formationsflug über Tarp, Eggebek und Jagel bei unserer Rückkehr am Donnerstag ein. Antwort: Stand by. Auch unsere „Vikings“ waren planmäßig in Goose gestartet. Auf dem Radar versuchten wir unsere 4 Maschinen herauszufinden. Wir wollten uns auf dem Weg nach Island in der Luft treffen. Hoffentlich klappt es! Unter uns Wasser und vereinzelt Eisberge. Da kommt in Nordholz die Genehmigung für den Überflug in Jagel. Wir schauten dem Radarmeister über die Schulter und suchten auf dem Radarschirm unsere Flugzeuge. Endlich hatten wir sie und erwarteten sie an Steuerbord. Dann kam die Meldung: „Vikings“ schießen 30 miles Steuerbord an uns vorbei. Schade, wieder nicht geklappt.
Das Mittagessen an diesem Tag: Rinderschmorbraten, Kartoffeln, Erbsen und Wurzeln, Pfirsich.
Die „Vikings“ flogen zum Zwischenstopp nach Sondrestrom auf Grönland. Wir flogen direkt nach Keflavik auf Island, wo wir uns alle wieder treffen sollten. Wir waren mit den „Vikings“ in Funkkontakt. Es war 11:45 Uhr als uns die Meldung erreichte, dass bei der 21+19 in Sondrestrom eine Hydraulikanlage leer gelaufen war. Gut, dass wir noch vor Grönland waren, denn so brauchten wir nicht umzudrehen. Unter uns Felsen und Eis. Wir landeten in Sondrestrom um 12:30 Uhr. Für unsere „Lötlampenjockeys“ fand das Mittagessen an Bord der „Atlantik“ statt. Wir nahmen uns die 21+19 vor. Leider konnten wir nicht mehr helfen. Zur genauen Behebung müsste das Triebwerk ausgebaut werden. Doch dazu fehlten uns Zeit und Mittel. Wir beschlossen, dass die Maschine hier stehen bleiben sollte. Wir stellten sie sicher in einer Halle ab. Gegen 15:00 Uhr starteten wir wieder in Grönland. KptLt Schmidt war neuer Gast an Bord der „Atlantik“.
Das Eis auf Grönland ist stellenweise bis zu 200 m dick. An der Eisabbruchkante von Grönland trafen wir die restlichen 3 „Vikings“ in der Luft. Sie zogen an uns vorbei. Klasse! Endlich hatte es geklappt. Fotos wurden gemacht. Wir waren wieder über Island und überflogen die blaue Lagune. Wieder wurden wir auf drei Hotels verteilt. Beim gemeinsamen Abendessen überreichte KptLt Ritscher FKpt Neumann eine von Elektrik/Triebwerk erstellte Urkunde, auf der wir uns für die kameradschaftliche Unterstützung bei der „Viking Farewell Tour ’86“ bedankten. Die „Atlantik“-Besatzung war überrascht und begeistert. Gegen Mitternacht nahmen wir noch ein Bad in der Blauen Lagune. Es war schon Morgen, als wir schlafen gingen.
Letzter Tag, Donnerstag 21.08.1986
Die Teilnehmer der F-104 Fare Well Tour ’86
Mit Blick auf die blaue Lagune standen wir früh auf. Wir trafen uns an der „Atlantik“, um ein Gruppenfoto zu machen: eine große bunte Familie. An einer Maschine wurde noch schnell ein Reifen gewechselt. Letzter Sprüheinsatz!
Wir starteten um 10:25 Uhr in Keflavik. Ein letzter Blick auf Island mit seiner Küste, dann nur noch Wasser. Um 11:50 Uhr kommt Freude auf: „Vikings“ sind auf gleicher Höhe. Die Sicht war gut, wir waren über den Wolken. 11:35 Uhr in 24000 ft Vorbeiflug der „Vikings“. Kameras summen und klicken. Klasse!
Wir ließen nochmals die gesamte Tour mit den Hoch- und Tiefpunkten an uns vorüberziehen. Über Funk hörten wir, dass alle drei „Vikings“ in Lossie heil gelandet waren. Auf zum letzten Sprung nach Jagel!
An Steuerbord passierten wir Loch Ness. Nur Nessie war nicht zu sehen. Zu Mittag gab es Geschnetzeltes mit Rahmsoße. OBtsm Nommensen meinte, ein Schiff mit Feuer auf dem Achterdeck gesehen zu haben. Meldung an Besatzung. Wir flogen eine Suchschleife. Es war nichts Besonderes auszumachen. Wir gingen wieder auf Kurs Jagel. Kommentar von Besatzung: „Lieber einmal mehr melden als gar nicht.“ Am Horizont war Dänemark zu sehen. Wie abgesprochen trafen wir uns mit den 3 Starfightern über Leck. Langsam wurden sie größer und brachten sich in Position: einer links, einer rechts, einer hinter der „Atlantik“. Die Formation stand. Wir überflogen in 300 m Höhe Tarp, Eggebek und Jagel. Ein tolles Bild, die Starfighter waren zum Greifen nahe. Die letzten Fotos wurden gemacht. Die „Atlantik“ musste kräftig Fahrt machen, um mitzuhalten: 265 Knoten. Die „Lötlampen“ sind eben doch schneller. Um 16:45 Uhr Ortszeit landeten wir wieder in Jagel und wurden mit Sekt begrüßt.
Zum Schluss gabs noch ein Gruppenbild
Zum Abschluss gab es noch ein Gruppenbild. Anschließend luden wir unsere Koffer und Ersatzteile ab und verabschiedeten uns von Crew VI.
„Good bye German Navy six-one-one-five.“
Wir haben ein Unternehmen mit einem Waffensystem durchgeführt, das sich im Laufe der Zeit als äußerst zuverlässig erwiesen hatte. Unsere „Starfighter“ hatten zusammen 135 Stunden hinter sich gebracht und damit 23000 km pro Flugzeug. Leider müssen wir Abschied nehmen von diesem Flugzeug und dieser letzte Langstreckennavigationsflug ist sicher ein Abschied, an den nicht nur die Beteiligten noch sehr lange denken werden.
„Bye, bye F-104„.
– OBtsm Stiemert, TI –
(veröffentlicht im Egmont, Auszug aus der Geschwaderzeitung des MFG 2)
Die 61+15 wurde am 16.12.2004 ausgesondert und an Erding zur Verwertung (Hochwert – Teilegewinnung) und Verschrottung am 06.01.2005 zugewiesen.
Ein trauriger Nachtrag:
Leider traf es auch die hier im Bericht erwähnte, und für uns durch dieses Projekt berühmt gewordene “Atlantik”, mit dem endgültigen Los einer Verschrottung. Viel lieber hätte ich persönlich dieses Luftfahrzeug, wie einige andere BR1150 auch, als einen beeindruckenden Zeitzeugen in einem Museum gesehen.
Die 61+15 wurde somit aber in Erding endgültig zerstört. So wie auch viele F-104G und TF-104G Starfighter, die zum Teil noch etliche Jahre in der Nutzung anderer Streitkräfte dienten, in der Masse leider der finalen Verschrottung ebenfalls zugeführt wurden.
Mehr zu den VIKINGS findest du auch auf meiner weiteren Webseite: “F-104G Starfighter – Das G steht für Germany“
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